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Last Modified: | Tuesday, 2015-05-05 - 08:09:00 |
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Alternative: | Printable HTML |
Title: | Bild 1: Grundlagen | ||
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Abstract: |
Bilder kommunizieren durch die Erkennbarkeit der Abbildung oder provozieren unsere Wahrnehmung durch die Verweigerung von Erkennbarkeit und damit Benennbarkeit. Bilder wecken Emotionen, sie werden zur Dokumentation und Erklärung, als Bildzeichen zur Kennzeichnung, Anweisung oder Warnung. In der Antike und seit der Renaissance war die realistische räumliche Darstellung ein zentrales Anliegen der europäischen bildenden Kunst. Stark verändert wurde die Produktion und Wahrnehmung von Bildern durch die Fotografie. |
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Status: | fertig | Version: | (empty) |
History: |
2004-08-31 VSB angelegt 2004-09-11 LOD 1 |
Author 1: | Viktor Solt-Bittner | E-Mail: | viktor@bonsai-cuts.at |
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Author 2: | (empty) | E-Mail: | (empty) |
Author 3: | (empty) | E-Mail: | (empty) |
Author 4: | (empty) | E-Mail: | (empty) |
Author 5: | (empty) | E-Mail: | (empty) |
Organization: | Bonsai Cuts, www.bonsai-cuts.at |
Funktion1Kommunikation durch (Wieder)erkennbarkeit der Abbildung Erkennbarkeit = Benennbarkeit Suche nach Erkennbarem:
2Häufig wird die kommunikative Überlegenheit der Bilder über die Sprache behauptet. Doch versucht man den Satz „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ durch Bilder auszudrücken, erkennt man schnell die Beschränkungen, der nichtverbalen Kommunikation. Und doch sind wir von Bildern umgeben und lassen uns von Ihnen ansprechen.
Bild und AbbildBilder kommunizieren, indem sie Erkennbares abbilden oder indem sie sich der Erkennbarkeit entziehen, und vom Betrachter eine Auseinandersetzung mit dieser Irritation oder mit dem Bild selbst als reine visuelle Komposition verlangen. Bilder, die sich der leichten Erkennbarkeit widersetzen, sind eher die Domäne der Kunst, eine scharfe Trennlinie lässt sich hier jedoch nicht ziehen. ErkennenOb wir auf einem Bild etwas zu erkennen glauben, hängt davon ab, ob wir das Motiv oder die Motive benennen können. Gelingt dies nicht auf den ersten Blick, sind wir immer noch bereit nach Benenn- und Erkennbarem zu suchen, solange die abgebildeten Farbflächen kontrastreich und voneinander scharf abgegrenzt sind. Wie bei einer dahinziehenden Cumulus-Wolke, in der wir Figuren und Gesichter erkennen. AUTOKlar umrissene Formen und Farbkontraste laden zur Interpretation dieses Motivs ein. Tatsächlich handelt es sich lediglich um das Ende eines Fotofilms, das beim Einlegen in die Kamera durch Reflexionen belichtet wurde. AUTOHintergrundbilder mit dekorativem Charakter, die nicht bewusst betrachtet werden müssen oder sollen, werden dagegen kontrastarm und oft unscharf gestaltet. Anwendung1Emotion Dokumentation Erklärung Kennzeichnung Anweisung, Verbot und Warnung 2Erinnerung und EmotionDas Erkennen und Erinnern beim Betrachten eines Bildes wird eingesetzt, um im Betrachter Stimmungen hervorzurufen. Versuche zeigen, dass Tiere und Menschen auf manche Bilder genauso reagieren wie auf das Original, selbst wenn die Darstellung nur entfernte Ähnlichkeit mit diesem hat. DokumentationDie wirklichkeitsgetreue Wiedergabe ist eine wichtige Aufgabe des Bildes, und wir vertrauen der Autorität des Bildes. Ob Herrscherportrait, Naturkatastrophe oder Architektur. Mit einer Abbildung können wir uns ein Bild machen. Wir sind meist bereit, einem Bild und ganz besonders einem Foto zu glauben, obwohl wir nicht sicher sein können, ob der abgebildete Fürst tatsächlich so ein hübscher Jüngling war, und ob das Überschwemmungsbild aktuell und nicht schon fünf Jahre alt ist, oder dass die abgebildete Kirche real nicht annähernd so imposant wirkt wie auf dem Foto. ErklärungAuch wenn Worte nicht durch Bilder ersetzt werden können, so kann eine Abbildung eine verbale Erklärung oft unterstützen. Bildhafte ErklärungDiese Streckbank zum Einrichten von Beinbrüchen lässt sich besser darstellen als nur beschreiben. Die Abbildung alleine wird als Bedienungsanleitung allerdings auch zu wenig gewesen sein. Interessant sind auch die unterschiedlichen Maßstäbe der beiden Figuren, die zur optimalen Ausnutzung der Bildfläche gewählt wurden. KennzeichnungBilder werden eingesetzt, um in Leitsystemen, Bedienungsanleitungen oder Benutzeroberflächen auf Einrichtungen und Funktionen hinzuweisen. Der Vorteil gegenüber verbalen Kennzeichnungen liegt in der Sprachunabhängigkeit und der schnellen Erfassbarkeit. Bildliche Kennzeichnungen lassen sich platzsparend in einen Gestaltungsraster integrieren. Nicht alle Funktionen lassen sich einfach durch Bilder darstellen. Das Vokabular ist begrenzt. Für den Einsatz als Kennzeichen werden Bilder in der Regel zu Bildzeichen reduziert (Piktogramme, Icons). Anweisung, Verbot und WarnungOft zusammen mit bildlichen Kennzeichnungen finden sich auch bildliche Handlungsanweisungen (wie z.B. „Knopf drücken“), Verbote (z.B. „Rauchen verboten“) oder Warnungen (z.B. „Rutschiger Boden“). Verbote sind wirkungsvoller, wenn sie zusammen mit einer Warnung vor möglichen Folgen eingesetzt werden. AUTODie Anweisung „Abstand zur Bahnsteigkante halten“ wird durch diese Darstellung der drohenden Folgen wirksamer. Räumliche Darstellung1verdeckte Flächen Licht und Schatten Figur und Hintergrund 2In der Antike und später wieder ab der Renaissance war die möglichst überzeugende Darstellung von Räumlichkeit ein zentrales Anliegen der darstellenden Kunst in Europa. Griechische und römische Künstler wussten, wie sie durch den Einsatz von hellen und dunklen Farbflächen und durch die teilweise Überlagerung von Farbflächen Tiefenwirkungen erzielen konnten. verdeckte Flächen
Licht und SchattenAuch die Möglichkeit, wie auf diesem Wandfresko aus Pompeji, durch die Darstellung von Licht und Schatten Objekte scheinbar plastisch abzubilden, war bereits in der Antike bekannt. Figur und HintergrundSelbst in diesem Bild, das kaum Flächenüberschneidungen oder Farbmodellierung zeigt, sehen wir nicht einfach Farbflächen, die aneinandergrenzen, sondern dunkle Objekte, die vor einer hellen Fläche stehen. Es scheint besonders bei der Abbildung von Gegenständen oder Personen leichter zu sein, einen Raumeindruck zu erzeugen, als ihn zu vermeiden. Aber auch bei nicht gegenständlichen Bildern und Ornamenten drängt das Raumsehen sich immer wieder vor das Flächensehen. Raumillusion1Augenzeugenprinzip Perspektive = Zentralprojektion Camera Obscura Fotografie
2Das Bemühen, mit möglichst unvoreingenommenem Blick genau das und nur das abzubilden, was zu einem bestimmten Zeitpunkt von einem bestimmten Ort zu sehen ist, bezeichnete der Kunsthistoriker Ernst Gombrich als Augenzeugenprinzip. PerspektiveDurch die Entdeckung der Zentralprojektion (alias Perspektive) in der Renaissance wurde die räumliche Illusion in der Malerei perfektioniert. Zahlreiche Künstler beschäftigten sich mit den Gesetzen der Perspektive. (Der erste überlieferte Text zu diesem Thema ist Albertis „De Pictura“) Meister Dürer empfiehlt …Diese Darstellungen Albrecht Dürers zeigen zwei Methoden um eine korrekte perspektivische Abbildung zu konstruieren. Die obere scheint in Ihrer Umständlichkeit eher geeignet, das Prinzip der Perspektive zu erklären, als wirklich zu Abbildungszwecken verwendet zu werden. Camera ObscuraDer Maler David Hockney vertritt die Theorie, viele Maler hätten ab dem 15. Jahrhundert optische Hilfsmittel verwendet, wodurch die Qualität der räumlichen Darstellung in der Malerei sprunghaft anstieg. Die Camera Obscura (lat. „dunkles Zimmer“) war in verschiedenen Varianten in Verwendung. Sie bestand meist aus einem abgedunkelten Zimmer in dem über eine einfache Optik das Motiv von draußen an die Wand projiziert wurde, wo die Konturen nachgezeichnet werden konnten. Durch die Jahrhunderte und Stilepochen beherrschte das Augenzeugenprinzip die darstellende Kunst vom 15. Jahrhundert bis zum Impressionismus des 19. Jahrhunderts. Fotografie und RaumdarstellungAb den 1830er Jahren gab die Fotografie den Maßstab für Bildproduktion nach dem Augenzeugenprinzip vor, was auch am heute gebräuchlichen Begriff „Fotorealismus“ abzulesen ist. Obwohl die Fotokamera nach den gleichen Prinzipien der Zentralprojektion arbeitet wie eine Camera Obscura oder auch ein das Bild konstruierender Maler, erweiterte sie die „räumliche“ Darstellung um einige Aspekte, die von Fotografen und Publikum erst nach und nach als bewusst einsetzbare Stilmittel akzeptiert wurden:
Tiefenunschärfe1punktförmige Blende Lochblende Linsenobjektiv 2AUTOAuf einer Fotografie, die mehrere Objekte in stark unterschiedlicher Entfernung zeigt, wird – abhängig von der Blendenöffnung – ein Teil des Bildes mehr oder weniger unscharf abgebildet. Lassen wir unsere Augen durch den Raum schweifen, werden die Linsen unserer Augen ständig auf die Entfernung des im Blickzentrum liegenden Objekts scharfgestellt. Dass näher oder weiter positionierte Objekte dabei unscharf projiziert werden, ist uns selten bewusst. Daher ist vor der Erfindung der Fotografie wohl kein Künstler auf den Gedanken gekommen, diese Unschärfe darzustellen. Exakte Theorie – unscharfe PraxisDie Theorie der Zentralprojektion geht von Konstruktionsstrahlen aus, die sich in einem Punkt schneiden. Ein Kameraobjektiv mit punktförmiger Blende im mathematischen Sinn ist natürlich unmöglich, da diese Blende kein Licht durchlassen könnte. Wird der Durchmesser der Lochblende vergrößert, verlassen wir das Ideal der punktgenauen Abbildung: die Projektion wird unscharf. Linsenobjektive statt Lochblenden erlauben auch bei großer Blendenöffnung die punktgenaue Bündelung der Lichtstrahlen, allerdings nur von Objekten in einem begrenzten Tiefenbereich. Das mathematische Ideal der punktförmigen Blende wird nur beim Bildrendering in 3D-Computerprogrammen erzielt. Raytracing-Bilder aus dem Computer zeigen daher die in der Fotografie nicht erzielbare Tiefenschärfe von null bis unendlich. Um Foto-Realismus zu erzielen, wird die Tiefenunschärfe (wie auch Bewegungsunschärfe oder Blendenflecken) mit dem Computer extra errechnet. Lochblende und LinsenobjektivEine punktförmige Blende würde theoretisch Bilder von durchgehend perfekter Schärfe liefern. Je größer die Blende, um so mehr Licht durchdringt sie. Aber um so größer wird auch die Unschärfe. Linsenobjektive können große Blendendurchmesser mit Bildschärfe verbinden. Allerdings nur in einem begrenzten Tiefenbereich. Bewegung und Bewegungsunschärfe1Abbildung von Zeitspannen: ganze Geschichte in einem Bild Abbildung von Zeitpunkten: eingefrohrene Bewegung
Abbildung einer kurzen Zeitspanne: Bewegungsunschärfe
2Abbildung von ZeitspannenBilder die nicht dem Augenzeugenprinzip entsprechend gestaltet werden, können auch zeitliche Abfolgen oder ganze Geschichten in einem Bild darstellen, sodass eine Figur mehrmals – zu verschieden Zeitpunkten – zu sehen ist. Dies lässt sich etwa in der europäischen Malerei des Mittelalters immer wieder beobachten wie auch in außereuropäischen Kulturen. IsaacIn dieser Illustration des Alten Testaments ist der Sohn Abrahams zweimal zu sehen. Links bringt er noch Feuerholz, rechts liegt er schon auf dem Altar, um geopfert zu werden. Abbildung von ZeitpunktenDie Europäische Kunst der Renaissance und folgender Jahrhunderte dagegen war bemüht, nur einen Augenblick einzufangen und möglichst überzeugend wiederzugeben. Da die Herstellung eines Bildes viele Stunden in Anspruch nahm, musste der Augenblick entsprechend mit still stehenden Modellen konserviert werden, bis der Maler die Positur auf Papier oder Leinwand festgehalten hatte. Entsprechend statisch und manchmal steif wirken die meisten in den letzten Jahrhunderten entstandenen Bilder für unsere an Schnappschussfotos gewöhnten Augen. Schnelle Bewegungen, die sich der genauen Beobachtung entziehen, wurden häufig falsch dargestellt, was wir heute nur feststellen können, da uns Fotografien zum Vergleich zur Verfügung stehen. Pferde im GaloppDie Bewegungen der Beine eines galoppierenden Pferdes entziehen sich durch ihre Schnelligkeit der genauen Beobachtung. Bis ins 19. Jahrhundert wurden Pferde im Galopp meist mit vorne und hinten lang ausgestreckten Beinen dargestellt. Der Vergleich mit Fotografien zeigt, dass ein galoppierendes Pferd in keiner Phase des Bewegungsablaufs eine solche Haltung einnimmt. Mit diesem Wissen scheint die seinerzeit sicher dynamisch wirkende Pose nicht nur unnatürlich, sondern auch eigenartig statisch. So als würden die Pferde in der Luft schweben. Fotos aus einer Serie von Eadweard Muybridge. Die gesamte Serie besteht aus zwölf Bildern, die innerhalb von 0,4 Sekunden geschossen wurden. Ab den 1870er Jahren stellte Muybridge viele solcher Serien her, die vor allem Menschen und Pferde aber auch andere Tiere in Bewegung zeigen. AUTOAuch auf einem Einzelfoto können wir aufgrund von abgebildeten Körperhaltungen auf die Art der eingefangenen Bewegung, die Bewegungsrichtung und auch die Geschwindigkeit schließen, obwohl wir aus der realen Welt, die nicht in der Bewegung eingefrohren werden kann, keine entsprechenden Erfahrungen mitbringen. Belichtungszeit und BewegungDie Aufnahme eines Fotos dauert viel kürzer als die Fertigstellung eines Gemäldes. Paradoxerweise macht uns aber gerade die Fotografie bewusst, dass nie ein einziger Augenblick abgebildet werden kann, sondern immer eine nur Zeitspanne, so kurz diese auch sein mag. Auffällig wird dies, wenn durch lange Belichtungszeit (lang kann schon eine halbe Sekunde sein) bewegte Objekte nicht mehr scharf, sondern verwischt abgebildet werden. Diese Bewegungsunschärfe kann die Folge von für das Fotomaterial unzureichenden Lichtverhältnissen sein, sie wird aber auch bewusst eingesetzt, um Bewegungsaufnahmen größere Dynamik zu verleihen. Perspektive1Perspektive in der MalereiProjektionsebene senkrecht: senkrechte Linien parallel
Perspektive in der FotografieProjektionsebene frontal zum Objekt: senkrechte Linien können verzerrt sein
2Zum Wesen der Perspektive gehört, dass parallel zueinander laufende Linien nur dann auch parallel zueinander dargestellt werden, wenn sie auch parallel zur Projektionsebene (=Bildebene) liegen. Alle übrigen Linien und Kanten laufen scheinbar in einem sogenannten Fluchtpunkt am Horizont zusammen. Perspektive in der MalereiZur Wahl des Bildmotivs gehört auch die Wahl des Betrachterstandorts, also die Wahl der Perspektive. In klassischen Gemälden finden wir oft perspektivisch verzerrte, also mit der Entfernung kleiner werdende Häuserfassaden, die für die Gesamtkomposition eine interessantere Linienführung bringen, als eine Frontalansicht wie aus einem Bauplan. Doch interessanterweise sind es immer nur die horizontalen Linien, die zusammenstürzen. Die senkrechten bleiben parallel. Anders ausgedrückt: Während die Maler ihre gedachten – oder im Fall der Verwendung einer Camera Obscura realen – Projektionsebene horizontal in alle Richtungen schwenkten, wenn sie ihre Ansichten wählten, hielten sie die Projektionsebene immer streng senkrecht. Theorie und Praxis der gemalten PerspektiveEin Ausschnitt der bereits weiter oben gezeigten Darstellung Albrecht Dürers zeigt deutlich: Das Visierloch, durch das der Maler sein Motiv betrachtet, ist über Schrauben verstellbar, wodurch sich die Blickrichtung ändern lässt. Die Bildebene bleibt aber senkrecht fixiert. Ausschnitt aus einem Canaletto-Gemälde. Die Verlängerungen der waagrechten (rot markierten) Gebäudekanten laufen am Horizont zusammen. Die senkrechten (blauen) Kanten bleiben senkrecht und damit parallel zueinander. Perspektive in der FotografieWer mit einem Fotoapparat auf Motivsuche geht, wird auf den fertigen Abzügen jedoch oft auch senkrechte Linien verzerrt finden, als würden sie in einem Fluchtpunkt oberhalb des Bildes zusammenlaufen. AUTOVerschiedene Konventionen der perspektivischen AbbildungUnter anderem hat diese Diskrepanz unter Kunsttheoretikern zur Ansicht geführt, die Perspektive der klassischen Malerei sei falsch oder eine willkürliche Konvention. Tatsächlich sind es zwei verschiedene Konventionen, die aber beide vom Standpunkt der darstellenden Geometrie nicht falsch sind: Nach der Konvention der Malerei bleibt die Projektionsebene immer senkrecht stehen. Die – durch den Aufbau von Klein- und Mittelformatkameras bedingte – Konvention der Fotografie verlangt, dass die Projektionsachse frontal dem abgebildeten Objekt zugewandt ist. Die „malerische“ Konvention der nicht stürzenden Senkrechten entspricht eher unserer Wahrnehmung, der es schwer fällt, senkrechte Linien als Schrägen zu akzeptieren, während uns das bei Waagrechten keine Probleme bereitet. Offenbar nimmt hier der Gleichgewichtssinn Einfluss auf den Gesichtssinn. Um bei Architekturaufnahmen stürzende Senkrechte zu vermeiden, werden verstellbare Kameras eingesetzt, mit denen die Projektionsebene unabhängig vom Blickwinkel senkrecht und damit parallel zu den Kanten der Gebäudefassaden gehalten werden kann. So entstehen Fotografien nach der malerischen Konvention. Bilder, die Tiefen- und Bewegungsunschärfe oder stürzende Senkrechten zeigten, galten lange als misslungen. Erst im Lauf des 20. Jahrhunderts wurden sie vom Publikum auch als mögliche Bildgestaltungsmittel akzeptiert.
LiteraturErnst H. Gombrich: Bild und Auge – neue Studien zur Psychologie der bildlichen Darstellung. Klett-Cotta, Stuttgart, 1984 Marlene Schnelle-Schneyder: Sehen und Photographieren – Von der Ästhetik zum Bild. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg, 2003 Eadweard Muybridge: Animals in Motion, Dover Publications, New York, 1957
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