Typographie: Grundlagen
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Einleitung und Motivation
Motivation
Diese Lerneinheit bietet (als erste von dreien) zum Thema Typografie einen Überblick über die Entstehung von Schrift und die Entwicklung der Typografie und der wichtigsten Schrifttypen. Lernziel ist die Fähigkeit zur Unterscheidung verschiedener Schriften und zur differenzierten Wahrnehmung ihrer Gestalt.
Widmung
Aus dem Vorwort des Typographen Otl Aicher zu seinem Buch „Typographie“.
„ursprünglich glaubte wittgenstein, alle probleme der philosophie dadurch lösen zu können, daß er die definitive form eines satzes fände, seine auf letzte einfachheit und klarheit reduzierte gesetzmässigkeit, als abbild einer zu ende entwickelten logik. wittgenstein bekam zweifel und gab es auf, über eine ganze epoche seines lebens hinweg etwas zu veröffentlichen. dann aber legte er eine ganz andere philosophie für die sprache vor, die der ersten entgegengesetzt war. sprache lässt sich nicht in feste regeln zwängen, sie lebt vom gebrauch, von der sich wandelnden bedeutung ihrer worte. die für wittgenstein gedachte widmung wird zu einer zeichnung. in einer reihe von buchstaben zeichne ich eine analogie zu seinem schritt nach, von der definitiven form zum gebrauch. anhand der schriftentwicklung von der antike bis heute verweise ich auf die revolution seines denkprinzips.“ [s]
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Beispiel
Entwicklung von Schrift
Abbildung
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Entwicklung und Geschichte
Schrift stellt bis heute eine Entwicklung dar, ein System, das nicht abgeschlossen ist und das sich wandelt unter den Bedingungen der Kommunikation. So haben etwa als neuzeitliche Systemschriften das Morse-Alphabet, bestehend aus Punkten und Strichen, und die Blindenschrift (Braille-Schrift), aus Erhebungen im Buchstabenfeld, die binäre „Schrift“ der Computer, zwischen 0 und 1, Plus und Minus, vorbereitet.
Braille-Alphabet
Abbildung
[s]
Braille-Alphabet
Abbildung
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Schriftsysteme
Westliche Buchstabenschrift
Unserer westlichen Buchstabenschrift, im Ursprung entwickelt aus den Bild- und Malschriften, stehen andere Schriftsysteme gegenüber.
Wortschriften
In Wortschriften steht für jedes Wort nur ein Zeichen. Als bedeutendste des Altertums gilt die ägyptische Hieroglyphenschrift, heute Chinesisch oder Vietnamesisch. Vorteil: Sie nehmen weniger Platz ein, man kann sie auch schneller lesen. Nachteil: Für den Druck braucht man soviele Zeichen, wie es Wörter gibt. Die chinesische Umgangssprache bedient sich 3000-4000 Worte.
Silbenschriften
Silbenschriften, etwa die Keilschrift der Sumerer (wennauch nur mit einem einzigen Zeichen, dem Keil) oder heute Japanisch, reduzieren den Zeichenbestand. Für die japanische Alltagssprache sollte man etwa 1000 Zeichen beherrschen. Unsere westliche Buchstabenschrift hingegen zählt nur 26 Zeichen (bzw. 52 incl. Grossbuchstaben).
Ausserhalb des westlichen existieren als gegenwärtig wesentlichste noch der arabische, der chinesische und der indische Schriftkreis.
Schriften in den Anfängen
Sieht man von frühen Höhlenmalereien, etwa in Lascaux (etwa 15000 v.Chr.), ab, werden die ersten Schriftsysteme heute mit etwa 5300 v.Chr. datiert und stammen von Inschriften auf Kultgegenständen einer südosteuropäischen Donau-Zivilisation. Ägyptische Hieroglyphen und die sumerische Keilschrift gehen auf etwa 3100 v.Chr. zurück.
Von diesem Zeitpunkt an bis zum Beginn der Typografie (1450 durch Johannes Gutenberg) war Schrift ein Instrument der politischen und sozialen Führungsschicht und allezeit patriachal besetzt.
Schrift und Kulturkreis
Schrift stand immer in engem zeitgeschichtlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Kultur und ihre Gestalt wird oft mit jener der Architektur einer Epoche verglichen.
Schrift und Architektur
1 griechisch 500 v.Chr., .2 karolingisch um 800, .3 gotisch um 1250, .4 Neue Sachlichkeit der 1920er
Abbildung
Im Ablauf der Geschichte – sowohl in Ägypten, in Griechenland, wie in Rom und im 18.Jh. – wurden immer mehrere Schriften geschrieben, jene zum täglichen Gebrauch (in Handel und Gewerbe oder auch der Dichter und Historiker) zum schnellen Schreiben (sog. Gebrauchsschriften) und jene zur offiziellen Demonstration und zur Repräsentation (von Staat und Kirche) unter Priorisierung ästhetischer Gesichtspunkte (sog. Schönschriften).
Griechische Inschrift
Die folgende Inschrift (geschrieben von rechts nach links) stammt von einer griechischen Kanne, aufgefunden vor den Toren Athens:
„Wer nun von allen Tänzern am muntersten tanzt, soll dies erhalten.“
Abbildung
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Phasen der Entwicklung von etwa 830.v.Chr. bis zu heutiger Schrift
Von 830 v. Chr.bis Gutenberg
Die verschiedenen Phasen der Entwicklung von der Inschrift der Kanne etwa 830.v.Chr. bis zu unserer heutigen (in diesem Fall Klein-) Schrift zeigt Otl Aicher in folgender Illustration:
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Beispiel
Inschrift einer griechischen Kanne
Abbildung
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Die industirelle Revolution
Die industrielle Revolution brachte die dampfgetriebene Rotationsdruckerpresse (1868) und 1886 ermöglichte es die Konstruktion der Setzmaschine Linotype, durch Tastenanschlag Buchstabenbilder zu Zeilen zusammenzustellen und mit Blei auszugiessen. Durch den Fotosatz in den frühen 1950er Jahren wurden verschiedene Schriftgrössen optisch vergrössert und es war nicht mehr nötig für jede Grösse eine gesonderte Schrift anzufertigen. Das mit der Verbreitung des Personal Computers Mitte der 80er Jahre einher gehende DTP (DeskTopPublishing) revolutioniert Satz und Druck. Mit Installierung des Internets Beginn der 90er Jahre emanzipiert sich die gesamte Typografie, Schrift verlässt ihren materiellen Träger und nimmt virtuelle Form an.
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Begriff und Abgrenzung
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Definition
Definition Typografie
Mit Typographie sprach man im ursprünglichen Sinn der Renaissance eigentlich von allen Bereichen der Buchdruckerkunst. Seit dem Ende des materiellen Schriftsatzes meint Typographie das gesamte - materielle oder digitale - reproduzierbare Schriftbild.

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Erklärung
Wortursprung
Etymologisch betrachtet setzt sich das Wort Typographie zusammen aus den altgriechischen Begriffen „typos“ für Gestalt, Eindruck oder Muster und „graphein“ für ritzen oder schreiben.

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Einteilung Typografie
Das Fachgebiet der Typografie umfasst folgende Ausrichtungen:
  1. die Kulturwissenschaft und Lehre der Schriftgeschichte, die Klassifikation von Druck- und Screenschriften sowie deren kunstgeschichtliche Zuordnung
  2. das Wissen über Betrachtungs- und Lesegewohnheiten
  3. die Lehre von der ästhetischen, künstlerischen und funktionalen Gestaltung von Buchstaben, Satzzeichen und Schriften sowie deren Anwendungen
  4. die Lehre, Sprache und Gedanken mittels maschinell bzw. digital reproduzierbarer Schriften sichtbar und den Anforderungen entsprechend optimal lesbar oder verständlich zu machen
  5. die visuelle Gestaltung eines Druckerzeugnisses, einer Multi-Media-Arbeit oder einer dreidimensionalen Oberfläche in der Art, dass Inhalt und Schrift sowie die Anordnung von Text und Bild ein optisch und didaktisch befriedigendes Ganzes ergeben
  6. die Kenntnisse von der handwerklichen, druck- und programmtechnischen Implementierung einer Schriftsatzarbeit
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Gestalterische Typographie
Die gestalterische Typographie unterscheidet zwischen Makrotypographie und Mikrotypographie
  • Die Makrotypografie als Gesamtkomplex der gestalterischen Schriftsatzarbeit wird auch oft eng mit dem Begriff Layout verbunden.
  • Die Mikrotypografie (oder auch Detailtypografie) beschäftigt sich mit dem Entwurf von Schrift in Form der Gestaltung und Konstruktion der Buchstaben, als auch deren Anwendung.
Teildisziplinen der gestalterischen Typographie
  • Als Teildisziplinen der gestalterischen Typographie gelten
  • Schriftgestaltung (Schriftentwurf, Type-Design)
  • Buchtypographie (Lesetypographie)
  • Gebrauchstypographie (Akzidenztypographie, Werbetypographie)
  • Corporate Typography (Schrift als Element im Corporate Design sowie in Leit- sowie Informationssystemen)
  • Kunsttypographie (Typo-Design)
  • Web- und Screen-Typographie (Digitale Schriftlichkeit)
  • Animationstypographie (Schrift in Bewegung, Schriftanimation)
  • Plastische Typographie (Schrift im dreidimensionalen Raum)
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Schriften und Klassifikation
Klassifikation nach DIN16518
Im Laufe ihrer Entwicklung wurden bereits (und werden) zahlreiche Versuche unternommen, Schriften nach ihrer unterschiedlichen Gestalt umfassend in Klassen zu ordnen. Die deutsche Klassifikation (DIN 16518) etwa unterscheidet 11 Gruppen, die nach einer Überarbeitung (1998) abendländische Schriften zu 5 Gruppen zusammenfasst:
  • Gebrochene Schriften (etwa die Gotische oder Fraktur)
  • Römische Serifen-Schriften (oder Antiqua)
  • Lineare Schriften (oder Grotesk; alle Striche derselben Breite)
  • Serifenbetonte Schriften (auch Egyptienne)
  • Geschriebene Schriften (Feder- und Pinselschriften)
Weitere Schriften
Dazu kommt noch die grosse Gruppe der „fremden oder nicht-römischen Schriften“ wie alle asiatischen sowie die kyrillischen, hebräischen und die arabischen Schriften sowie alle Zierschriften, die zur Dekoration, weniger der Lesbarkeit dienen.
Antiqua
Als Schriftgattung gehen alle genannten westeuropäischen Schriften, abgesehen von den gebrochenen (und nicht-römischen) Schriften, auf die um 1470 entstandene Antiqua – das bedeutet soviel wie „alte Schrift“ – zurück und werden als solche bezeichnet
Klassifikation für Multimediabereich
Für ein rasche Identifikation im multimedialen Gebrauch lässt sich vereinfacht zwischen Serifenschriften und serifenlosen (oder Grotesk-) Schriften unterscheiden.
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Beispiel
Beispiele Schriften
Gebrochene Schrift (Old English Text)
Abbildung
Serifen-Schrift (Garamond)
Abbildung
Grotesk- oder Serifenlose Schrift (Futura)
Abbildung
Schreibschrift (Snell)
Abbildung

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Zeichengestalt und Anatomie
Schriftschnitte
Schriften existieren nicht nur in ihrer Grundform, sondern in unterschiedlichen Schriftschnitten (oder Schriftstile). Wurde in der Renaissance etwa noch eine kursive Variante hinzugefügt, werden heute zumeist ganze Schriftfamilien entworfen. Die Bezeichnungen variieren je nach Land bzw. Schriftenhersteller. Schnitte (Stile) sind etwa Fein (Thin), Mager (Light), Buch (Book), Normal (Regular), Halbfett (Bold oder Medium), Fett (Black oder ExtraBold), sowie Schmal (Condensed) oder Breit (Extended) und Kursiv (Italic oder Oblique).
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Beispiel
Schrift-Familie
Abbildung
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Versalien
Als Versalien bezeichnet man Großbuchstaben, während Kleinbuchstaben Gemeine genannt werden; der Satz aus Groß- und Kleinbuchstaben heisst gemischter Satz.
Unterscheidungsmerkmale von Schriften
Schriften unterscheiden sich also nach der Gleichförmigkeit und Beschaffenheit ihres Striches, der Achslage ihrer Lettern, der Art ihrer Endung und in ihren Abmessungen wie Höhe, Breite sowie Ober- und Unterlängen.
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Beispiel
Abbildung: Anatomie
Abbildung
  1. Schaft, Stamm, Hauptstrich
  2. Haarstrich
  3. Serife
  4. Schattenachse
  5. Anstrich
  6. Endstrich
  7. Scheitel
  8. Bauch
  9. Schlinge
  10. Innenform
  11. Verbindung
  12. Kehlung
  13. Versalhöhe
  14. Oberlänge
  15. Mittellänge
  16. Unterlänge
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Serifenschriften (Antiqua)
Unterscheidbar nach Form ihrer Serifen
Abbildung
  1. Renaissance-Antiqua oder Barock-Antiqua - Serifenkehlung rund (Palatino, Times)
  2. Klassizistische Antiqua - Serifen als feine Haarstriche; grosser Strichstärkenunterschied (Bodoni, Zapf Book)
  3. Linear-Antiqua serifenbetont - Strichstärken gleichmässig, Serifen betont (American Typewriter, Rockwell, Glypha)
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Serifenlose (Grotesk) Schriften
Unter den serifenlosen oder Grotesk-Schriften zählen zu den bekanntesten Schrifttypen: Akzidenz Grotesk, Helvetika, Futura, Univers, Avant Garde
Mittellängen
Für eine Beurteilung und die Anwendung einer Schrift, kann deren Gestalt massgeblich sein. So kommt es beispielsweise nicht immer auf den gewählten Schriftgrad (auch Schriftgrösse genannt) an, sondern – wie am Beispiel deutlich ersichtlich – auch auf die Mittellänge der Buchstaben. Schriften, deren Buchstaben unterschiedliche Mittellängen aufweisen, wirken unterschiedlich gross.
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Beispiel
Abbildung: Schriftgrad
Abbildung
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Dr. Stefan Müller (sm@automat.at)
Automat, http://www.automat.at/