Gedächtnis und mentale Modelle
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Einleitung
Drei Prozesse charakterisieren das Gedächtnis:
  • Enkodieren: Erstmalige Verarbeitung von Information, die zu einer Repräsentation im Gedächtnis führt
  • Speichern: Aufbewahrung des enkodierten Materials über die Zeit hinweg
  • Abrufen: Späteres Wiederauffinden der Information
Abbildung Kontrollprozesse
Kontrollprozesse
Das klassische Modell des Gedächtnisses ist das so genannte Drei-Speicher-Modell (Atkinson und Shiffrin), das aus folgenden strukturellen Teilen besteht:
  • Sensorisches Register
  • Kurzzeitgedächtnis
  • Langzeitgedächtnis
Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis werden strukturell auch als einheitliches System betrachtet, in dem allerdings zwei Zustände der Speicherung unterschieden werden: aktiviertes Wissenund nicht aktiviertes Wissen. Die Aktivierung entspricht dem Abruf aus dem Langzeitgedächtnis zum Zweck der Verarbeitung. In dieser Betrachtung kann man das Kurzzeitgedächtnis auch mit dem Arbeitsspeicher (besser noch: mit den Registern) eines Computerprozessors vergleichen.
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Sensorisches Register
Jedes Sinnessystem verfügt über ein eigenes Register, das nachdem Sinneseindruck (z.B. Sehen), jedoch noch vor der Mustererkennung (Klassifikation) wirksam ist. Wir können dieses sehr flüchtige, auch als Ultrakurzzeitgedächtnisbezeichnete System quasi als "Pufferspeicher" für die Rohdaten von Organisations- und Klassifikationsprozessen auffassen.
Gemäß der Filtertheoriefokussiert die Aufmerksamkeit auf einen kleinen Teil des Inhalts, der dann weiterverarbeitet wird. Der Rest geht verloren, er wird "überschrieben" oder verfällt.
Das ikonische Register(oder ikonische Gedächtnis) ist dem visuellen Bereich zugeordnet und hat eine Behaltenszeit von etwa ½ Sekunde. Das echoische(oder echoartige) Register bezieht sich auf die auditive Modalität und weist eine mittlere Speicherzeit von ca. zwei Sekunden auf. Darüber hinaus gibt es auch das olfaktorische und das taktile Register für die anderen Sinnessysteme.
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Kurzzeitgedächtnis
Nach der ersten Klassifikation wandern einige Informationen in das Kurzzeitgedächtnis zur weiteren Strukturierung bzw. Verarbeitung. Das Kurzzeitgedächtnis trägt zur "psychologischen Präsenz" bei: Es bewahrt die Repräsentation einer sich verändernden Situation und verbindet getrennte Episoden zu einer fortlaufenden Geschichte.
Der Abruf aus dem Kurzzeitgedächtnis erfolgt durch vollständige sequentielle Suche.
Das Kurzzeitgedächtnis kann als der "Flaschenhals" des Gedächtnisses bezeichnet werden, da sowohl zeitliche als auch räumliche Kapazitäten beschränkt sind.
Die zeitliche Speicherung von Informationen im Kurzzeitspeicher beträgt ca. 10-30 Sekunden. Die Information kann jedoch durch ("erhaltendes") Wiederholen länger im Kurzzeitgedächtnis gehalten werden. Durch elaborierendes Wiederholenwerden Informationen in den Langzeitspeicher transferiert.
Die Schätzung der inhaltlichen Kapazität basiert auf den Arbeiten von George Miller (1965) "The Magical Number Seven" und beträgt 7 ( ± 2) max. 7 (+-2) zufällig angeordnete, vertraute Informationseinheiten ( Chunks, Elemente wie Buchstaben, Ziffern, aber auch komplexere benannte Konzepte). Die Anzahl der Informationseinheiten kann willentlich nicht geändert werden. Informationseinheiten können aber durch verschiedene Mechanismen erweitert (vergrößert) werden, die als Analogon zur Gestalttheorie der Wahrnehmungbetrachtet werden könnten (" chunking"): Durch Identifikation von Zusammenhängen, Gruppierung, Verknüpfung mit bereits Bekanntem wird die Komplexität einer Information reduziert und benötigt daher weniger Chunks, um verarbeitet werden zu können. Diese Komplexitätsreduktion ist allerdings in den meisten Fällen objektiv nicht nachzuvollziehen. Anders als in der Informatik (Informationstheorie, Codierung) bedeutet Chunking nicht Reduktion von Datenvolumina durch die Verringerung von Redundanz, sondern Aufbereitung der Informationen in einer der menschlichen Informationsverarbeitung zuträglichen Weise. Dabei werden z.B. abstrakt-logische, mathematische Inhalte von Personen, die Schwierigkeiten mit Informationen dieser Art haben, in einen anderen Bereich der Informationsverarbeitung verschoben.
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Beispiel
Beispiel: Die Ziffernsequenz 1-9-4-5-1-9-3-9-1-9-1-8-1-9-1-4-1-8-7-1 übersteigt deutlich die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses. Fasst man jeweils vier Ziffern zusammen, entstehen Jahreszahlen - neue Chunks, die, nur noch zu fünft, relativ leicht behalten werden können: 1945 - 1939 - 1918 - 1914 - 1871.

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Beispiel
Beispiel: Die Nachkommastellen der Zahl Pi sind als Zahlenfolge kaum zu merken. Durch einen Transfer in einen anderen Bereich intellektueller Leistung (verbale Kompetenz), die bei den meisten Menschen besser ausgeprägt ist, wird die Handhabung der Information (und somit die Leistung) verbessert.
Zahl Pi mit 20 Nachkommastellen Gedicht, wobei die Anzahl der Buchstaben der Worte den Ziffern der Zahl Pi entspricht
3,14159265358979323846 Pie, I wish I could recollect pi eureka cried the great inventor christmas pudding christmas pie is the problems very centre
Dieses Beispiel dient als Illustration dafür, wie die Ressourcen des Kurzzeitgedächtnisses geschont werden können, wenn die Quantität der abzuarbeitenden Informationen aus dem Langzeitgedächtnis den verfügbaren Platz übersteigt. In diesem Fall kann "chunking" auch dazu dienen, bereits gespeicherte Information so aufzubereiten, dass sie trotz beschränkter Ressourcen handhabbar ist.

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Die beschränkte Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses hat wesentliche Auswirkungen auf die Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen. So kommt die "Magische Sieben" in vielen Gestaltungsrichtlinien als Maximalzahl von (mehr oder weniger gleichzeitig zu beachtenden) Schnittstellenelementen vor. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass das (als solches erkennbare) Abschließen eines Arbeitsschritts (closure) zu einem Gefühl der Erleichterung führt, weil das Kurzzeitgedächtnis frei wird für neue Aufgaben. Als Beispiel vergegenwärtige man sich das Wählen der letzten Ziffer einer Telefonnummer.
Das Kurzzeitgedächtnis bekommt nicht nur Informationen aus dem sensorischen Register, sondern auch aus dem Langzeitspeicher. Im Kurzzeitgedächtnis werden Reize von außen mit Informationen von innen miteinander verglichen. Wenn die Informationen von außen als relevant bzw. interessant erachtet werden, beginnen Prozesse, um diese Informationen in den Langzeitspeicher zu transferieren. Dies passiert durch so genanntes elaborierendes Wiederholen. Elaborierendes Wiederholen bedeutet, dass neue Informationen mit bestehenden Informationen so verknüpft werden, dass sie in ein bestehendes Modell passen. Es bedarf je nach Komplexität, Neuartigkeit oder Widersprüchlichkeit der neuen Inhalte im Vergleich zu bestehenden Informationen einer unterschiedlichen Dauer, bis neue Inhalte vollständig im Langzeitspeicher gespeichert sind.
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Langzeitgedächtnis
Das Langzeitgedächtnis verfügt über alle Informationen, die im Laufe eines Lebens gespeichert werden. Dabei besteht die Annahme, dass jede Information, die sowohl bewusst als auch unbewusst ins Langzeitgedächtnis gelangt, beim gesunden Menschen nie verloren geht. Es scheint lediglich so zu sein, dass der Zugriff auf diese Inhalte aus verschiedenen Gründen nicht mehr möglich ist. Sei es z.B., dass Wege zu Inhalten "verschüttet" werden, oder durch die stärkere Nutzung von anderen Informationen vergessen wird, wie man bestimmte Informationen aus selten genutzten Bereichen abruft (ähnlich wie es zum Löschen einer Datei genügt, ihren Eintrag aus dem zugehörigen Verzeichnis zu entfernen). Für diese Erklärung spricht zum Beispiel, dass im Zustand der Hypnose Inhalte wieder abrufbar sind, die im Wachzustand nicht mehr verfügbar sind. Die Leistung des Langzeitgedächtnisses hängt also neben der Speicherung auch von der Abrufbarkeit der Inhalte ab. Für die Erhöhung der Leistung dienen so genannte Mnemotechniken, z.B.:
  • Loci-Methode: Geographische Orte (lat. loci) werden mit gespeicherten Inhalten verknüpft
  • Eselsbrücken
  • Bildhafte Vorstellungen
Jedenfalls ist die Erinnerungsleistung des Langzeitgedächtnisses um so besser, je stärker die Umstände beim Abruf jenen bei der Enkodierung ähneln ("Abrufkontext = Enkodierungskontext"). Diese Eigenschaft kann man nützen, indem man Abrufhilfen(Hinweisreize, retrieval cues) vorsieht, um die Erinnerung zu unterstützen, wie etwa den berühmten Knoten im Taschentuch oder den Versuch, zunächst zu rekonstruieren, in welcher Situation man eine Person kennen gelernt hat, deren Name einem momentan nicht einfällt.
Allerdings kann es im Zusammenhang mit Abrufhilfen auch zu so genannten Interferenzeffekten kommen: Wenn die Abrufhilfe nicht klar genug auf eine bestimmte Erinnerung verweist (Datenbanktechnisch ausgedrückt: die Schlüsseleigenschaftnicht gegeben ist), kann der Abruf eventuell sogar erschwert werden.
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Beispiel
Beispiel: Man erhält eine neue Telefonnummer. Als proaktive Interferenzwird das Problem bezeichnet, sich an die neue Nummer nicht zu erinnern, weil man die alte noch im Kopf hat, während das Phänomen, dass die neue Nummer nach einer gewissen Zeit die alte "überdeckt", eine retroaktive Interferenzdarstellt.

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Erstaunlicherweise ist das Langzeitgedächtnis relativ begrenzt. Man geht derzeit von einer Kapazität von etwa 10^9 bit = 125 MB aus. Das Geheimnis der Leistung des menschlichen Gehirns ist also offenbar nicht die hohe Speicherkapazität, sondern das optimale Zusammenspiel aller Prozesse und Strukturen.
Das Langzeitgedächtnis verfügt über verschiedene Bereiche, die nach Art des Inhalts unterscheidbar sind:
  • Prozedurales Gedächtnis- Gedächtnis für Fähigkeiten und Fertigkeiten
  • Semantisches Gedächtnis- "abstraktes Wissen"
  • Episodisches Gedächtnis- Erinnerungen an Ereignisse, Situationen
Abbildung Langzeitgedächtnis
Langzeitgedächtnis
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Repräsentation im Langzeitgedächtnis
Die Organisation von Information im Langzeitgedächtnis erfolgt nach verschiedenen Kriterien. Information wird allerdings nicht als solche, sondern in aufbereiteter Form als "Wissen" gespeichert. Wie bereits im Rahmen des Kurzzeitgedächtnisses erwähnt, erfolgt eine Verknüpfung der neuen Inhalte mit bereits vorhandenen Strukturen. Es gibt verschiedenste Formen der Repräsentation im Langzeitgedächtnis, wovon nur die im Zusammenhang Relevanten kurz skizziert werden.
Es existieren einige Modelle bzw. Annahmen darüber, wie Repräsentation im Gedächtnis tatsächlich aussieht. Die Modelle unterscheiden sich teilweise in ihrem Fokus. Allen Modellen gemeinsam ist die Annahme, dass es im Gedächtnis (zumindest) zwei unterschiedliche Systeme gibt, nämlich ein verbales und ein bildliches Speichersystem. Grundlage für diese Annahme bildeten die Arbeiten von Alan Paivio zur dualen Codierung.
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Wahrnehmungsbezogene Repräsentationen
Im Gedächtnis existieren unterschiedlichste Arten von Repräsentationsformen, die miteinander kooperieren. Auf der ersten Stufe stehen Repräsentationen, die sehr eng mit der Wahrnehmung verknüpft sind, man unterscheidet hier zwischen analogen Repräsentationen und Repräsentationen serieller Ordnung.
Analoge Repräsentationen
Darunter versteht man bildliche Vorstellungen von visuellen Gegebenheiten. Die Vorstellung von visuellen Objekten ist analog zu ihren tatsächlichen Eigenschaften:
  • räumliche Ausdehnung
  • figurale Anordung
  • Kombination von Elementen
  • Farbe, Kontrast, Textur.
Beweis für die Annahme von analogen Repräsentationen stellen die Versuche zur mentalen Rotation dar. In Versuchen z.B. mit rotierten Buchstaben zeigte sich, dass die Vorstellung von Buchstaben in untypischer Lage länger braucht als in normaler Lage - was für eine Handhabung der Repräsentation analog zur Wahrnehmung spricht.
Repräsentationen serieller Ordnung
Analoge Repräsenationen funktionieren nur bei visuellen Informationen. Für verbale Inhalte sind andere Repräsentationsformen erforderlich, da auch die Wahrnehmung von Inhalten verbaler Ausprägung anders als bei visuellen Inhalten, nämlich seriell erfolgt. Die Repräsentation erfolgt also seriell in Form von Informationsabfolgen. Auch hier gibt es Belege für die Theorie, z.B. der Wiederabruf von Inhalten durch Vorgeben eines Wortes, dass am Anfang des (seriell) gespeicherten Inhaltes steht.
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Bedeutungsbezogene Repäsentationen
Komplexer sind Repräsentationen des Wissens, die weg von der Wahrnehmung hin zu einer abstrakteren bedeutungsbezogenen Aufbereitung gehen. Diese Repräsentationen beinhalten sowohl bildhaftes als auch verbales Wissen. Eine grobe Unterscheidung kann hier zwischen Propositionalem Wissen und konzeptuellem Wissen getroffen werden.
Propositionale Netzwerke
Eine Proposition ist die kleinste Wissenseinheit, die eine selbständige Aussage bilden kann. Propositionen können in Form von Netzwerken dargestellt werden. Die Abstraktion der Inhalte erfolgt auf Basis von Beziehungen zwischen Inhaltselementen. Das Resultat ist eine bedeutungsbezogene Struktur, die übrigbleibt, wenn man wahrnehmungsspezifische Details abstrahiert.
Die nächste Stufe ist konzeptuelles Wissen. In diesem Fall wird (im Unterschied zu propositionalen Verknüpfungen) noch weiter abstrahiert, so dass eine noch abstraktere Struktur entsteht. Zwei der wichtigsten Ansätze in diesem Bereich sind semantische Netzwerke, die propositionalen Netzwerken ähnlich sind, Schemata, die sowohl abstrahiertes als auch erfahrungsbezogenes Wissen enthalten können und mentale Modelle, die jegliches, für einen bestimmten komplexen Sachverhalt wesentliches Wissen beinhalten (z.B. das Curriculum eines Studiums).
Hierarchische Strukturen
Generalisierungs- bzw. Spezialisierungshierarchien mit Eigenschaftsvererbung (vgl. hiezu die Konzepte der Objektorientierung). Innerhalb von Hierarchien werden Basisniveaus (Basiskonzepte) ausgezeichnet, das sind die "natürlichen" Niveaus in einer Begriffshierarchie. Beispielsweise denkt man üblicherweise eher an einen "Apfel", als an eine "Frucht" (zu hohes Niveau) oder einen "Golden Delicious" (zu niederes Niveau).
Semantische Netzwerke : Das semantisch hierarchische Netzwerkmodell nach Collins und Quillian (1972) verfügt über folgende Elemente:
  • Einheiten (Wörter, welche Gegenstände oder Ereignisse repräsentieren)
  • Eigenschaften (Wörter, welche Charakteristika der Einheiten repräsentieren)
  • Richtungen (Verknüpfungen verschiedener Einheiten und Eigenschaften)
Abbildung Organisation von Informationen
Organisation von Informationen
Das Modell der semantischen Netzwerke ist besonders im Rahmen der Mensch-Maschine Interaktion ein häufig erwähntes Modell. Dieses Modell hat im Laufe der Zeit einige Erweiterungen bzw. Veränderungen erfahren, bzw. ist durch Konkurrenzmodelle ersetzt worden. Einer der wichtigsten Unterschiede anderer Modelle ist jener, dass Verknüpfungen nicht fix sind, sondern Regelsysteme existieren, die Zusammenhänge bei Speicherung und Abruf bei Bedarf immer wieder neu bilden.
Schemata
Ähnlich den Aggregationshierarchien in der Objektorientierung werden auch im Langzeitgedächtnis einzelne Begriffe zu größeren Einheiten zusamengefasst ("Küche = <Herd, Abwäsche, Kühlschrank, Kästchen, Tisch>"). Neben dem Objektschema, das einzelne Objekte, enthält gibt es auch Ereignisschemata oder Scripts, die die Abfolge verschiedener Ereignisse beinhalten. Schank und Abelson (1977) skizzieren diese Art von Schema im Restaurantschema, das den genauen Ablauf und die Ojekte eines Restaurantbesuches enthält.
"Begriffe" - Ergebnisse einer Abstraktion von Individuen zu Klassen. Dies betrifft:
  • Objekte (z.B. "Hund"),
  • Aktivitäten (z.B. "Lesen"),
  • Eigenschaften (z.B. "rot", "groß"),
  • Abstrakta (z.B. "Wahrheit") und
  • Beziehungen ("Schwester von").
Prototypen: Dies sind Repräsentanten einer Klasse, die sich unmerklich ändern, sobald neue Instanzen einer Kategorie gefunden werden. Wenn man z.B. an einen Hund denkt, hat man ein Tier bestimmter Größe, Fellfarbe usw. vor Augen, eben einen "Durchschnittshund".
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Mentale Modelle
Den mentalen Modellen wird in der Mensch-Maschine-Interaktion ein besonderer Stellenwert eingeräumt, da Abläufe einer Interaktion meist so komplex sind, dass sie eine Vielzahl an gedächtnisbezogenen Aspekten beinhalten. Sei es auf unterster Ebene die wahrnehmungsbezogene Repräsentation eines Icons, oder die einem semantischen Netzwerk strukturell ähnliche Verwendung eines Dateisystems etc.
Mentale Modelle sind subjektive Modelle, die für technische, physikalische oder soziale Zusammenhänge verwendet werden. Wesentlichstes Merkmal von mentalen Modellen ist die Reduktion von Elementen und Beziehungen, um ein komplexes Problem weniger komplex und leichter überschaubar zu machen. Im Unterschied zu den vorher erwähnten Repräsentationen zeichnen sich mentale Modelle dadurch aus, dass sie auf Problemlösung ausgerichtet sind. Während es beispielsweise keinen Sinn macht, prototypische Begriffe (mental) zu verändern können mentale Modelle bewusst oder unbewusst so geändert werden, dass sie einer aktuellen Problemstellung entsprechende verschobene Prioritäten bzw. Zusammenhänge aufweisen.
Mentale Modelle sind objektiv in den meisten Fällen unrichtig, sind aber für die betreffende Person nützlich für die Erreichung ihrer Ziele. Beispielsweise reicht ein primitives mentale Modell eines Autos einem Laien völlig, um seine Ziele zu erreichen, nämlich mit dem Auto von A nach B zu kommen. Ein Automechaniker wird mit dem mentalen Modell des durchschnittlichen Autofahrers seinen Aufgaben nicht nachkommen können.
Die Unterstützung bestehender mentaler Modelle bzw. die Entwicklung von neuen Modellen erfordert die Anpassung des Systems bzw. der Schnittstelle an den jeweiligen Benutzer. Die Schnittstelle des erwähnten Mechanikers ist z.B. der Motor, die Schnittstelle des Benutzers ist der Fahrerplatz.
Vielfach wird, besonders bei der Entwicklung von Software oder Websites, diese Sichtweise nicht berücksichtigt. Entwickler, die Experten auf dem Gebiet sind, entwickeln Schnittstellen gemäß ihrem mentalen Modell und nicht gemäß dem des Benutzers. Zielsetzung sollte daher sein, ein konzeptionelles Modell über das mentale Modell des Benutzers zu entwickeln.
Dutke (1994) ließ 48 Kommandos der Menüstruktur einer Anwendung von 12 potentiellen Benutzern zuerst nach ihrer vermuteten Anordnung aufteilen. Danach wurden die Personen befragt, welche Anordnung aus ihrer Sicht die beste wäre. Nur eine von zwölf Personen glaubte, dass "Drucken" und "Seitenumbruch" sich im selben Menü befindet. Bei der Anordnung nach eigenen Vorstellungen gab es ebenfalls nur eine Person, die "Drucken" und "Seitenumbruch" in ein Menü gegeben hätte, aber 11 von 12 Personen hätten "Drucken" und "Drucker wechseln" in ein Menü gegeben.
Der Programmentwickler hat offenbar aufgrund von technischen Überlegungen die Menüs strukturiert, während die Benutzer aus der Anwendungssicht vorgegangen wären.
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Beispiel
Beispiel für ein mentales Modell:
Eine häufig verwendete Fangfrage in österreichischen Quizshows lautet: Welche Bundesländer haben eine Grenze zu Italien. Für die Beantwortung wird ein geographisches mentales Modell aktiviert, das etwa so lautet: "Italien = Südwesten. Welche Länder liegen im Südwesten? Kärnten, Osttirol, Tirol".
Abbildung Grenze zu Italien
Grenze zu Italien
Dass auch Salzburg eine Grenze zu Italien hat, wird in diesem mentalen Modell nicht berücksichtigt.

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In der HCI nehmen mentale Modelle eine zentrale Bedeutung ein. Es zeigt sich, dass Benutzungsschnittstellen zu suboptimalen Ergebnissen führen, wenn sie einem auf Erfahrungen mit anderen GUI-Systemen oder Websites gebildeten mentalen Modell widersprechen. Dieser Tatsache wird auch in der ISO Norm 9241-10 (Grundsätze der Dialoggestaltung) im Abschnitt "Erwartungskonformität" Rechnung getragen.
Ein Benutzer, dess mentales Modell einem Dateisystem mit strikter Baumstruktur entspricht, wird (z.B. nach einem Betriebssystemwechsel) mit symbolischen Links (Verknüpfung) zunächst nur schlecht zurechtkommen.

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Gerhard Leitner (gerhard@isys.uni-klu.ac.at)
IAS, Universität Klagenfurt