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Bereits 1890 meinte William James: "Ohne Aufmerksamkeit wäre das Bewusstsein eines jeden Lebewesens ein graues chaotisches Gewirr". Um mit der Umwelt interagieren zu können, ist es erforderlich, sich Teilen dieser Umwelt fokussiert zu widmen. Diese Fokussierung wird durch Aufmerksamkeit ermöglicht.
Der Wechsel des Fokus der Aufmerksamkeit passiert willentlich relativ rasch und auch über die Grenzen von Sinnesbereichen hinweg. Der so genannte "Cocktailparty-Effekt" illustriert dies. Man stelle sich vor, man befindet sich auf einer Party und unterhält sich gerade mit andern Leuten. Plötzlich hört man am anderen Ende des Raumes leise seinen Namen. Sofort wird das Bewusstsein auf "Überwachung" geschaltet und die Aufmerksamkeit ist auf die Quelle gerichtet, von der der Name kam (was i.A. dazu führt, dass das eigene Gespräch degeneriert).
Aufmerksamkeit lässt sich als die "Kameraführung des Wahrnehmungsprozesses" verstehen. Kameraführung ist deshalb notwendig, weil die Gesamtheit der Information, die in der Umwelt vorhanden ist, nicht durch das menschliche Gehirn verarbeitbar wäre. Deshalb wird nur ein kleiner Ausschnitt dessen verarbeitet, was verfügbar ist. Um die Dimensionen zu illustrieren, seien die Überlegungen von Keidel (1967) kurz skizziert:
Nach diesem Modell strömen 10^9 bit/Sekunde auf das Gehirn ein, bewusst verarbeitet werden nur ca. 100Bit/Sekunde. Langfristig speicherbar ist nur 1Bit/Sekunde. Innerhalb eines 70jährigen Lebens fallen somit ca. 10^14 Bit an gespeicherten Informationen an. Der Mensch gibt seinerseits wieder 10^7 Bit/Sekunde wieder an die Umwelt ab.
Übersichtsschema der Informationsverarbeitung des Menschen |
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Es gibt verschiedene Theorien zur Funktion der Aufmerksamkeit, wobei die wichtigsten sich hauptsächlich durch den Zeitpunkt der Selektion der relevanten Information unterscheiden. So gehen die einen davon aus, dass bereits vor der weiteren Reizverarbeitung relevante Informationen herausgefiltert werden ( Filtertheorie ) und andere nicht weiterverarbeitet werden. Andere Theorien wiederum besagen, dass alle Informationen mehr oder weniger vollständig verarbeitet werden, der Teil, dem keine Aufmerksamkeit zugewandt ist, jedoch unbewusst. Experimente im Bereich der Aufmerksamkeit wurden vielfach im Bereich Akustik (Hörversuche) durchgeführt.
Im visuellen Bereich ist die Aufmerksamkeit mit dem gelben Fleck (Sehgrube, Fovea) verbunden. Im Normalfall werden die Dinge mit Aufmerksamkeit besetzt, deren Abbild auf dem gelben Fleck der Netzhaut liegen. Willentliche Steuerung der Aufmerksamkeit ist jedoch möglich, z.B. durch die Fokussierung auf Objekte, die im peripheren Sehbereich liegen.
Wie im akustischen Bereich wurde auch in Experimenten im visuellen Bereich gezeigt, dass Aufmerksamkeit nur auf einenkomplexen Reiz gerichtet sein kann. Neisser und Becklen führten Testpersonen zwei unterschiedliche Filme gleichzeitig vor. Wichtige Ereignisse wurden in dem Film, dem die Aufmerksamkeit abgewandt war, übersehen.
Neben der willentlichen Steuerung der Aufmerksamkeit gibt es Reize, die eine automatische Fokussierung hervorrufen. Dies sind nach Berlyne [1971,1974] folgende Kategorien von Reizen:
- Kollative Variablen - kollativ bedeutet vergleichend. Reize werden mit vorhandenem Wissen verglichen. Wenn ein Reiz bestimmte Eigenschaften erfüllt, wird ihm Aufmerksamkeit zugewandt. Die Dimensionen, die nach Berlyne entscheidend für eine Zuwendung sind, lauten:
- Neuheit - etwas Unbekanntes löst höheres Interesse aus als bereits Bekanntes.
- Ungewissheit oder Konflikt - z.B. als optische Täuschungen bekannte Phänomene stellen einen Widerspruch zu einem gefestigten Modell dar, wie Dinge aussehen.
- Komplexität - komplexe Informationen (z.B. eine schematische Darstellung einer Maschine) bedürfen einer längeren Aufmerksamkeit, um vollständig interpretiert werden zu können.
- Überraschungsgehalt - unerwartet auftretende Reize ziehen stärker Aufmerksamkeit auf sich.
- Affektive Reize (Kindchenschema, Gesichter, der eigene Name - vgl. Cocktailparty-Effekt)
- Starke äußere Reize (Lärm)
- Innere Reize (Bedürfnisse, z.B. Hunger)
Diese Phänomene sind bewusst oder unbewusst eingesetzt auch dafür verantwortlich, wie der Benutzer eines interaktiven Systems seine Aufmerksamkeit fokusiert. Berlyne identifizierte die beschriebenen Dimensionen in seiner ursprünglichen Theorie im Zusammenhang mit Erregung (engl. Arousal, auch mit Aktivierung zu übersetzen). Aus einer Vielzahl von Studien ist bekannt, dass sowohl ein zu niedriges Aktivierungniveau als auch zu hohe Erregung sich negativ auf Leistung auswirken. Deshalb wird auch in sorgfältig durchdachten Benutzungsschnittstellen versucht, ein mittleres Niveau beizubehalten. Aufmerksamkeit wird durch dezente Mechanismen (z.B. blinkender Cursor oder helle, hervorgehobene Eingabefelder) gelenkt, jedoch nicht so stark beeinflusst, dass Tätigkeitsabläufe dadurch beeinträchtigt werden. Eine Unart vor allem auf Websites ist es, durch massive Reize (z.B. Werbe-Popups) die Aufmerksamkeit des Benutzers auf sich zu ziehen. Durch die Ausnutzung des Überraschungsmoments kann man zumindest sicher gehen, dass die Aufmerksamkeit kurzfristig gebunden ist. Allerdings wird dem Benutzer meist bald klar, dass der Reiz uninteressant ist und die "vergeudete" Aufmerksamkeit und die erforderliche neue Konzentration auf das ursprüngliche Ziel lösen Gefühle wie Ärger und Frustration aus - und dies ist das Gegenteil dessen, was der Anbieter eigentlich bezweckt.